Berufsunfähigkeitsversicherung: Rücktritt, Kündigung und Anfechtung
Nicht nur Versicherungsnehmer können ihre Berufsunfähigkeitsversicherung kündigen.
Werden bei Beantragung dieser Versicherung Fragen zu Gesundheit bzw. Vorerkrankungen, Berufstätigkeit oder Freizeitrisiken falsch oder unvollständig beantwortet, verletzen Antragsteller bzw. zu versichernde Person ihre vorvertragliche Anzeigepflicht. In diesem Fall kann der Versicherer je nach Schwere der Schuld und innerhalb festgelegter Fristen
- den Vertrag rückwirkend anpassen,
- den Vertrag kündigen,
- seinen Rücktritt vom Vertrag erklären oder
- im Extremfall den Vertrag auch anfechten.
Die Konsequenzen können für die versicherte Person existenzbedrohend sein.
Die vorvertragliche Anzeigepflicht
Grundsätzlich hat der Versicherungsnehmer bei der Beantragung einer Berufsunfähigkeitsversicherung alle ihm bekannten Gefahrumstände anzugeben, die für den Versicherer zur Übernahme des Versicherungsrisikos erheblich sind und nach denen dieser in Textform gefragt hat. Dies betrifft sowohl Fragen zur beruflichen Tätigkeit, zur Gesundheit und auch zu Freizeitrisiken.
Dies klingt einfach, birgt in der Praxis jedoch einige Risiken. So ist für einen medizinischen Laien kaum einschätzbar, welche Vorerkrankungen der Versicherer als erheblich betrachtet. Als Faustregel empfehle ich: Wenn Sie wegen einer Erkrankung einen Arzt aufgesucht hatten, dann sollten Sie diese im Antrag angeben. War diese für den Versicherer unerheblich, wird sie auch keinen Einfluss auf seine Annahmeentscheidung haben.
Ein weiteres Problem: Eigentlich bekannte Gefahrumstände können durchaus auch im Moment der Antragstellung in Vergessenheit geraten sein. Aber auf dieses Vergessen kann sich der Antragsteller nicht berufen. Die Rechtsprechung verlangt hier eine zumutbare Anspannung des Gedächtnisses.
Tipp 1:
Auch wenn es nicht zwingend vorgeschrieben ist – recherchieren Sie Ihre Vorerkrankungen und nehmen Sie dabei Einsicht in Ihre Patientenakte. Denn wie wollen Sie später beweisen, von einer dort vermerkten Vorerkrankung wirklich nichts gewusst zu haben?
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung
Wurden im Antrag Informationen vorsätzlich verschwiegen oder Fragen bewusst falsch beantwortet, um die Entscheidung des Versicherers zur Antragsannahme positiv zu beeinflussen, liegt der Verdacht einer arglistigen Täuschung nahe. Kann der Versicherer die arglistige Täuschung beweisen, wird er den Vertrag anfechten und diesen so sehr effektiv beenden. Denn die Anfechtung führt zur rückwirkenden Aufhebung des Vertrags und zum Verlust des Versicherungsschutzes. Darüber hinaus muss der Versicherungsnehmer eventuell erhaltene Leistungen zurückzahlen – auch wenn die verschwiegenen oder falschen Angaben in keinerlei Zusammenhang mit dem Leistungsfall standen. Dagegen darf der Versicherer die bereits gezahlten Beiträge behalten.
Laut § 124 BGB muss die Anfechtung durch den Versicherer binnen Jahresfrist erfolgen. Die Frist beginnt jedoch erst mit dem Zeitpunkt, in welchem die Versicherungsgesellschaft die Täuschung entdeckt.
Allerdings gilt gem. § 21 Abs. 3 Satz 2 VVG auch, dass eine Anfechtung grundsätzlich nicht mehr möglich ist, wenn die arglistige Täuschung mehr als zehn Jahre zurückliegt (vgl. BGH, Urteil vom 25.11.2015 – Az. IV ZR 277/14).
Tipp 2:
Auch wenn Sie bereits Vorerkrankungen erlitten haben, die mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem Risikozuschlag oder Leistungsausschluss führen werden – versuchen Sie nicht, den Versicherer zu täuschen. Denn selbst wenn bei Eintritt der Berufsunfähigkeit die 10-Jahresfrist abgelaufen ist, könnte die Beantragung der BU-Rente schwierig werden. Sie kennen doch das Sprichwort: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Und um die BU-Rente zu bekommen, müssen Sie dem Leistungsprüfer glaubhaft nachweisen, dass Sie wirklich zu mindestens 50 % berufsunfähig sind. Das könnte dann – selbst mit spezialisiertem Anwalt – schwierig werden.
Rücktritt vom Vertrag
Wurde die vorvertragliche Anzeigepflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig – aber nicht arglistig – verletzt, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten. Der Rücktritt führt ebenfalls zur rückwirkenden Aufhebung des BU-Vertrags und zum Verlust des Versicherungsschutzes. Auch hier darf die Versicherungsgesellschaft die über die Jahre gezahlten Beiträge einbehalten.
Erfolgt der Rücktritt jedoch nach Eintritt einer Berufsunfähigkeit, bleibt die Leistungspflicht bestehen, wenn dem Versicherer nachgewiesen werden kann, dass die nicht oder nicht richtig angegebenen Umstände in keinem Zusammenhang mit der eingetretenen Berufsunfähigkeit oder der sich daraus ergebenden Leistungspflicht stehen.
Das Rücktrittsrecht entfällt, wenn der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten gefahrerheblichen Umstände – möglicherweise zu anderen Bedingungen (z. B. Beitragszuschlag) – geschlossen hätte. Diese „anderen Bedingungen“ (das können Beitragszuschläge oder auch Leistungsausschlüsse sein) werden dann rückwirkend Vertragsbestandteil.
Dieses Rücktrittsrecht erlischt fünf Jahre nach Vertragsabschluss.
Details zu den Konsequenzen des Rücktritts durch den Versicherer hat der Fachanwalt für Versicherungsrecht Björn Thorben M. Jöhnke in diesem Artikel auf asscompact.de erläutert.
Kündigung der Berufsunfähigkeitsversicherung
Ist das Rücktrittsrecht ausgeschlossen, weil der Antragsteller die vorvertragliche Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat, kann der Versicherer den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat kündigen. Die Kündigung wirkt jedoch nur für die Zukunft. Bereits erhaltene Leistungen müssen nicht zurückerstattet werden. Es ist auch möglich, dass der Versicherer im aktuellen BU-Fall noch leistungspflichtig ist.
Wurde die vorvertragliche Anzeigepflicht unverschuldet verletzt, verzichten die meisten Versicherer bedingungsgemäß auf ihr Kündigungsrecht.
Das Kündigungsrecht des Versicherers entfällt, wenn dieser den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten gefahrerheblichen Umstände – möglicherweise zu anderen Bedingungen – geschlossen hätte. Der Versicherer kann den Vertrag dann so anpassen, wie er ihn bei Kenntnis der verschwiegenen Umstände geschlossen hätte.
Sind bereits fünf Jahre seit Vertragsabschluss vergangen, erlischt auch das Kündigungsrecht des Versicherers.
Tipp 3:
Wenn BU-Versicherer Leistungen verweigern, dann sind laut einer Studie des Analysehauses „Franke & Bornberg“ in 23,5 % der Fälle hierfür Rücktritt bzw. Anfechtung die Ursache – obwohl dies ja nur innerhalb der ersten 5 bzw. 10 Jahre nach Vertragsabschluss möglich ist. Wenn Sie Ihre Berufsunfähigkeitsversicherung zeitig genug abschließen, dann sind bei Eintritt einer Berufsunfähigkeit sehr wahrscheinlich diese Fristen abgelaufen.
Denken Sie dabei auch an Ihr Kind. Gute Berufsunfähigkeitsversicherungen für Kinder gibt es schon ab einem Alter von 6 Jahren. Selbst mit einer geringen versicherten BU-Rente können Sie den guten Gesundheitszustand des Kindes für spätere Erhöhungen „einfrieren“. Sie müssen nur auf eine gute Nachversicherungsgarantie achten.
Ein Beispiel aus der Praxis
Im Jahr 2011 hatte ein Vater für seine 15jährige Tochter eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Die Frage nach psychischen Erkrankungen innerhalb der letzten 5 Jahre hatte er mit „nein“beantwortet, obwohl die Tochter bereits seit zwei Jahren an einer Psycho- und Verhaltenstherapie (u. a. wegen Entwicklungs- und Essstörungen) teilnahm.
Als der Vater im Juli 2016 Leistungen wegen psychischer Beeinträchtigungen beantragte, lehnte der Versicherer dies ab und trat wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht vom Vertrag zurück. Dagegen klagte der Vater erfolglos.
Der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig entschied mit Beschluss vom 13.08.2020 (Az. 11 U 15/19), dass der Versicherer zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt gewesen sei, weil der Vater die Fragen im Versicherungsformular arglistig falsch beantwortet habe. Er habe sich auch nicht darauf zurückziehen können, dass einige Störungen seiner Tochter seinerzeit ausgeheilt gewesen seien.