konkrete Verweisung

Konkrete Verweisung & Lebensstellung

Mit einer konkreten Verweisung kann der Versicherer die Zahlung der BU-Rente verweigern bzw. beenden, wenn die versicherte Person freiwillig eine neue, vergleichbare Tätigkeit aufgenommen hat – obwohl sie im „alten“ Beruf unbestritten berufsunfähig ist. Voraussetzung ist jedoch, dass die neue Tätigkeit der Qualifikation, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung (soziale Wertschätzung und Einkommen) des Versicherten entspricht.

Umso wichtiger ist, dass die „bisherige Lebensstellung“ klar definiert ist. Enthalten die Versicherungsbedingungen keine Konkretisierungen (insbesondere zur zumutbaren Einkommensminderung), kommt es häufig zu gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Nachfolgend finden Sie Wissenswertes zur konkreten Verweisung.

Und mit unserem Online-Vergleich finden Sie die Tarife mit klarer Definition zur Lebensstellung bzw. der zumutbaren Einkommenseinbuße.

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Worin unterscheiden sich abstrakte und konkrete Verweisung?

Schriftzug: konkrete Verweisung Erlauben die Versicherungsbedingungen eine abstrakte Verweisung, kann der Versicherer die Zahlung der Rente schon dann verweigern, wenn der Versicherte mit seinen gesundheitlichen Einschränkungen rein theoretisch noch eine andere Tätigkeit ausüben könnte, die seiner Ausbildung und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Eine solche Verweisung ist also auch möglich, obwohl der Versicherte diese Tätigkeit gar nicht ausübt. Achten Sie deshalb darauf, dass der Versicherer auf sein abstraktes Verweisungsrecht verzichtet.

Bei der konkreten Verweisung prüft der Versicherer, ob Sie trotz Berufsunfähigkeit im alten Beruf bereits eine neue Berufstätigkeit aufgenommen haben. Entspricht diese neue Tätigkeit Ihrer bisherigen Ausbildung, Erfahrung und Lebensstellung, kann er die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente ablehnen, weil Sie tatsächlich (konkret) wieder eine Tätigkeit mit vergleichbarer sozialer Wertschätzung und vergleichbarem Einkommen ausüben.

Das Gleiche passiert, wenn Sie bereits BU-Leistungen erhalten und der Versicherer im Rahmen der Nachprüfung den Fortbestand der Berufsunfähigkeit überprüft. Der BU-Versicherer stellt seine Leistungen wieder ein, wenn Sie eine neue Tätigkeit ausüben und diese Ihrer Qualifikation, Erfahrung und bisherigen Lebensstellung entspricht.

Bei der Nachprüfung verzichtet übrigens kein Versicherer auf die konkrete Verweisung. Das ist prinzipiell nicht problematisch, wenn Sie wieder eine angesehene Tätigkeit mit vergleichbarem Einkommen haben und finanziell nicht mehr auf die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente angewiesen sind. Aber insbesondere bei der Definition der bisherigen Lebensstellung gibt es große Unterschiede, die später über Zahlung oder Nichtzahlung der Berufsunfähigkeitsrente entscheiden können. Deshalb ist es wichtig, auf die Formulierungen zur konkreten Verweisung und der zugrunde gelegten Lebensstellung zu achten.

Definition der Lebensstellung

Das konkrete Verweisungsrecht ist unproblematisch, wenn der Begriff „Lebensstellung“ verbraucherfreundlich definiert ist. In den Vertragsunterlagen sollte möglichst eindeutig definiert sein, unter welchen Voraussetzungen der Versicherer konkret verweisen darf. Dadurch lassen sich zeit- und nervraubende Gerichtsprozesse vermeiden.

Bei verbraucherfreundlichen Versicherungsbedingungen ist eine konkrete Verweisung nur möglich, wenn:

  • die konkret ausgeübte Tätigkeit der Ausbildung und Erfahrung sowie der bisherigen Lebensstellung der versicherten Person entspricht,
  • diese Tätigkeit nicht zu Lasten der Gesundheit geht (Stichwort: Überobligation),
  • bei der bisherigen Lebensstellung sowohl das Einkommen als auch die soziale Wertschätzung vor Eintritt der gesundheitlichen Beschwerden berücksichtigt wird (Dies ist wichtig, wenn danach schon krankheitsbedingt Einkommenseinbußen eingetreten waren.),
  • die maximal zumutbare Einkommensminderung eindeutig auf 20 % begrenzt ist und
  • die zumutbare Einkommensminderung auch nochmals unter Beachtung des individuellen Falles geprüft wird, da sich im Einzelfall – insbesondere bei niedrigem Einkommen – auch eine Einkommensminderung von weniger als 20 % als unzumutbar herausstellen kann.

In den Versicherungsbedingungen wird dies so oder so ähnlich formuliert:

Berufsunfähigkeit liegt nicht vor, wenn der Versicherte in zumutbarer Weise eine andere Tätigkeit konkret ausübt, die aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung hinsichtlich Vergütung und sozialer Wertschätzung vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung entspricht. Dabei ist es nicht zumutbar, dass die Tätigkeit zu Lasten der Gesundheit geht oder dass das jährliche Bruttoeinkommen 20 % oder mehr unter dem Bruttoeinkommen im zuletzt ausgeübten Beruf vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigung liegt. In begründeten Einzelfällen kann auch eine Einkommenseinbuße unter 20 Prozent unzumutbar sein.

Werden in den Versicherungsbedingungen keine konkreten Prozentsätze (z. B. Sparkassen-Versicherung Sachsen Lebensversicherung AG, R+V Lebensversicherung AG) für die maximal zumutbare Einkommenseinbuße genannt, kann dies zu eigentlich vermeidbaren Streitigkeiten und gerichtlichen Auseinandersetzungen führen. Auch höhere Prozentsätze von z. B. 30 % (Debeka Lebensversicherungsverein a.G) sind nicht unbedingt verbraucherfreundlich. (Stand: 08/2020)

Wichtige Ergänzungen zur Lebensstellung bei Studenten und Auszubildenden

Insbesondere bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung für Studenten und Auszubildenden ist es wichtig, dass zur Prüfung einer konkreten Verweisung nicht die bisherige Lebensstellung herangezogen wird, sondern die regelmäßig mit dem Abschluss des Studiums bzw. der Ausbildung erreichte Lebensstellung. Denn diese Personen haben meist noch keine abgeschlossene Berufsausbildung und nur ein geringes Einkommen (BAföG bzw. Ausbildungsvergütung), so dass ihre „bisherige Lebensstellung“ auch mit schlecht bezahlten Jobs vergleichbar wäre.

Welche BU-Versicherer verzichten auf die konkrete Verweisung?

Viele Versicherer verzichten auf die Verweisung, wenn mit der neu ausgeübten Tätigkeit weniger als 80 % des bisherigen Jahresbruttoeinkommens erzielt werden oder diese neue Tätigkeit keine vergleichbare Wertschätzung hat.

Die HDI Lebensversicherung AG verzichtet bei ihrem Tarif „EGO Top“ seit Dezember 2023 für alle Berufe in der Erst- und auch in der Nachprüfung auf die konkrete Verweisung . Das ist unseres Wissens ein Alleinstellungsmerkmal.

Die Baloise Lebensversicherung AG Deutschland schreibt in ihren Versicherungsbedingungen
Ist die versicherte Person Arzt/Ärztin, Zahnärztin/Zahnarzt, Tierarzt/Tierärztin, Apotheker:in, Rechtsanwältin/ Rechtsanwalt, Notar:in, Steuerberater:in oder Wirtschaftsprüfer:in, gilt: Wir beschränken uns bei einer konkreten Verweisung auf andere Berufe, die zur Führung der gleichen Berufsbezeichnung berechtigen.
Wird also beispielsweise ein Landtierarzt berufsunfähig und beginnt eine Tätigkeit in einer Kleintierpraxis, so kann trotzdem der Verweis auf diese neue Tätigkeit geprüft werden.

Beim DANV-Tarif der ERGO Vorsorge Lebensversicherung AG gilt:
Ist nach erfolgreichem Abschluss einer Ausbildung oder eines Studiums der zuletzt ausgeübte Beruf dem Bereich der rechts-, wirtschafts-, steuerberatenden oder wirtschaftsprüfenden Berufe oder diesen nach Ausbildung, Kenntnissen oder Fähigkeiten gleichzustellenden Berufen zurechenbar, prüfen wir nicht, ob die versicherte Person noch eine andere Tätigkeit wahrnimmt oder wahrnehmen kann“.
Der Verzicht auf die konkrete Verweisung ist also streng auf diesen Personenkreis beschränkt.

Welche Rolle spielt die konkrete Verweisung in der Praxis?

  1. Ein angestellter Chirurg erzielte vor Eintritt seiner Berufsunfähigkeit 100.000 € Jahresbruttoeinkommen. Seit Anerkennung seiner Berufsunfähigkeit erhält er von seinem Versicherer eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 2.000 €. Eine Wiederaufnahme der chirurgischen Tätigkeit ist aus gesundheitlichen Gründen weiterhin unmöglich, er bekommt aber eine Gutachtertätigkeit mit einem Jahresbruttoeinkommen von 75.000 € angeboten. Wird die Zahlung der BU-Rente nun nach Aufnahme der Gutachtertätigkeit eingestellt?
    In diesem Fall liegt zwar eine ausgeübte Tätigkeit vor, die auch der Ausbildung und Erfahrung des Versicherten sowie der sozialen Wertschätzung der bisherigen Tätigkeit entspricht. Aber die Einkommenseinbuße beträgt 25 %. Wenn entsprechend den Versicherungsbedingungen eine Einkommenseinbuße von 20 % und mehr ausdrücklich als unzumutbar gilt, ist keine konkrete Verweisung möglich. Die BU-Rente muss auch weiterhin gezahlt werden.
    Ohne eindeutige Angabe der maximal zulässigen Einkommenseinbuße in den Versicherungsbedingungen, wäre hierzu keine Aussage möglich. Unter Umständen müsste erst ein Gericht entscheiden, ob in diesem speziellen Fall auch eine 25%ige Einkommenseinbuße unzumutbar wäre.
  2. Wesentlich schwieriger ist die Beurteilung der sozialen Wertschätzung, wie ein Urteil des OLG Karlsruhe zeigt (Az: 12 U 140/11). Ein Malergeselle nahm nach Eintritt einer anerkannten Berufsunfähigkeit eine Hausmeistertätigkeit an einer Schule auf. Nun musste er in beträchtlichem Umfang auch Tätigkeiten ausführen, die keine besonderen handwerklichen Qualifikationen erfordern. Das betraf insbesondere die Ausgabe von Kreide, Schwamm und Lappen, die Beaufsichtigung des Hofdienstes und die Verrichtung von Botendiensten (Transport der Post zum Rathaus und zur Post), das Leeren der Mülleimer, das Rasenmähen und Unkrautjäten im Außenbereich sowie die Kontrolle von Sanitäreinrichtungen.
    Während das Landgericht die bisherige Tätigkeit als Maler und Lackierer mit der jetzigen Arbeit als Schulhausmeister in finanzieller und sozialer Hinsicht als vergleichbar betrachtete, kam das Oberlandesgericht hier zu einem anderen Urteil und verneinte die Möglichkeit einer konkreten Verweisung – ohne die Einkommenssituation genauer zu betrachten.
  3. Ob die Verweisung eines Dachdeckergesellen auf den Beruf eines Rettungsassistenten rechtens ist, hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf zu entscheiden (Az: I-24 U 4/18 vom 22.10.2018). Dabei stellte das OLG fest, dass beide Berufe eine qualifizierte Ausbildung erfordern und auch die soziale Wertschätzung eines Rettungsassistenten nicht unter der eines Dachdeckergesellen liegt. Da im konkreten Fall auch das Einkommen (inklusive der gezahlten Zulagen) als Rettungsassistent nur geringfügig (weniger als 10 %) unter dem Einkommen als Dachdeckergeselle lag, bestätigte das OLG schließlich die Vergleichbarkeit der Berufe.
  4. In einem anderen Rechtsstreit hatte sich ein gelernter Landmaschinenmechaniker weitergebildet und als Hufbeschlagschmied selbstständig gemacht. In diesem Beruf arbeitete er von 2003 bis 2009. Danach musste er diesen Job aufgrund von Lendenwirbel- und Schultergelenkbeschwerden beenden.
    Der BU-Versicherer verweigerte dem Betroffenen die Leistung, weil dieser inzwischen als Maschinenführer im Garten- und Landschaftsbau tätig war und damit sogar ein höheres Einkommen erzielte.
    Das Oberlandesgericht gab zunächst der Versicherungsgesellschaft recht, da die Tätigkeit der bisherigen Lebensstellung ebenbürtig sei. Nach Ansicht des Gerichts werde das höhere soziale Ansehen als Hufschmied dadurch kompensiert, dass er als Maschinenführer mehr verdiene.
    Doch der Bundesgerichtshof sah dies anders (Az: IV ZR 11/16). Eine Tätigkeit sei erst dann vergleichbar, wenn sie ähnliche Kenntnisse und Fähigkeiten erfordere als der bisher ausgeübte Beruf und zudem geldlich und von der Wertschätzung auf demselben Niveau sei. Das wäre hier trotz des besseren Verdienstes nicht gegeben. Der Fall wurde an das OLG zurückverwiesen
  5. Zu einem ähnlichen Urteil gelangte auch das Oberlandesgericht Nürnberg in einem anderen Fall (Az: 8 U 2196/21).
    Hier war ein 21-jähriger Konstruktionsmechaniker mit bestandener Gesellenprüfung und einem monatlichen Bruttoeinkommen von 2.000 € unstrittig berufsunfähig. Nach ca. 6 Jahren nahm der Versicherte eine neue Tätigkeit als „Fahrer und Messgehilfe“ im Öffentlichen Dienst auf. Bei dieser Tätigkeit handelte es sich um keinen Ausbildungsberuf. Die Einarbeitungszeit betrug ungefähr 4 Wochen. Bei einer durchschnittlichen täglichen Arbeitszeit von 7 Stunden erzielte er nunmehr ein monatliches Bruttoeinkommen von 2.200 €. Der Versicherer nahm dies zum Anlass für eine konkrete Verweisung auf den neu ausgeübten Beruf und stellte seine Leistungen ein. Dagegen klagte der Versicherte.
    Vor dem Landgericht Weiden i.d.OPf. unterlag er zunächst mit seiner Klage. Das OLG Nürnberg verhalf ihm dann jedoch zu seinem Recht. Zwar wäre eine Verweisung nicht bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil der Beruf, auf den der Versicherer den Versicherten verweisen will, kein Ausbildungsberuf ist. Allerdings stellt das Erfordernis einer abgeschlossenen Berufsausbildung einen bedeutenden Faktor dar, der bei der Vergleichsbetrachtung zu berücksichtigen ist. Berufliche Tätigkeiten erfahren regelmäßig durch eine Ausbildung eine erhebliche Steigerung des sozialen Ansehens.
  6. Glück und einen guten Rechtsanwalt hatte ein Koch, der durch einen Unfall berufsunfähig wurde und daraufhin auch Leistungen von seiner Versicherung erhielt. Nachdem er jedoch Jahre später eine Umschulung als Veranstaltungskaufmann abschloss und eine Tätigkeit als Betriebsleiter einer Seniorenresidenz aufnahm, wollte der Versicherer im Rahmen seiner Nachprüfung konkret auf diese Tätigkeit verweisen und die Leistungen einstellen. Dagegen klagte der Betroffene erfolgreich.
    Obwohl die neue Tätigkeit seiner bisherigen Lebensstellung als Koch entsprach, verneinte das LG Nürnberg-Fürth in diesem Fall (Az.: 2 O 3404/16) die Möglichkeit der konkreten Verweisung, da die neue Tätigkeit als Betriebsleiter Kenntnisse bzw. Fähigkeiten voraussetzt, die der Kläger erst durch die Umschulung nach Eintritt des Versicherungsfalls erworben hat. Und in den Versicherungsbedingungen hatte der Versicherer nicht klargestellt, dass für den Fall einer Verweisung auch nachträglich erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten berücksichtigt werden. Aus diesem Grund bewertete das Gericht die Umschulung als einen vertraglich nicht geschuldeten überobligatorischen Einsatz der versicherten Person, den die Versicherungsgesellschaft nicht berücksichtigen darf.

Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass man durchaus auf konkrete und möglichst eindeutige Versicherungsbedingungen achten sollte. Aber alles lässt sich auch in den besten Versicherungsbedingungen nicht klären bzw. dokumentieren.

Fazit

Im Unterschied zur abstrakten Verweisung kann der Versicherer mit Hilfe der konkreten Verweisung Leistungen also nur verweigern, wenn die versicherte Person aus eigenem Entschluss tatsächlich eine berufliche Tätigkeit ausübt und diese Tätigkeit seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Wenn die Lebensstellung eindeutig und verbraucherfreundlich definiert wurde, hat die versicherte Person ihr geregeltes Einkommen und ist nicht auf die Zahlung der Berufsunfähigkeitsrente angewiesen. Deshalb stellen verbraucherfreundliche Formulierungen zur konkreten Verweisung keine Benachteiligung des Versicherten dar. Probleme kann es jedoch bei unklaren oder für den Versicherten ungünstigen Regelungen geben.

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