Antragstellung nach Diagnose MS

Multiple Sklerose und Arbeitskraftabsicherung

erstellt am 21.12.2018

Als Versicherungsmakler helfe ich gern mit meinem Wissen und meiner Erfahrung. Aber manchmal kann auch ich nicht helfen – zum Beispiel kürzlich. Da erhielt ich folgende Anfrage:

Bei meiner Frau wurde im September MS diagnostiziert. Haben wir jetzt noch eine Chance, sie gegen Berufsunfähigkeit abzusichern?

Auch wenn die Antwort schwer fällt, aber manchmal ist es einfach zu spät.

Diagnose: Multiple Sklerose (MS)

Multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Autoimmunkrankheit, die ohne vorherige körperliche Warnzeichen auftritt. Häufig wird sie erstmals zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr diagnostiziert wird – zu etwa 70 % bei Frauen. Deutschlandweit sind über 200.000 Menschen von MS betroffen. Darunter befinden sich auch 3 bis 5 % Kinder bzw. Jugendliche unter 16 Jahren.

Bei Multipler Sklerose greifen die körpereigenen Abwehrzellen die Myelinschicht (Schutzschicht der Nervenfasern) im Gehirn oder im Rückenmark an. Es kommt zu einer Entzündung, dem allmählichen Abbau der Schutzschicht und zur Funktionsstörung der betroffenen Nerven.

Die Symptome der Krankheit sind sehr unterschiedlich – je nachdem welche Regionen des zentralen Nervensystems betroffen sind. Deshalb wird sie gelegentlich auch als „Krankheit mit den 1.000 Gesichtern“ bezeichnet. Zu den frühen Anzeichen zählen

  • Gefühls- und Empfindungsstörungen sowie Kraftlosigkeit in Händen, Armen und Beinen,
  • daraus bedingt Unsicherheit beim Gehen,
  • Gleichgewichtsstörungen und
  • verschwommenes Sehen.

Später können starke Ermüdungserscheinungen, Muskelkrämpfe, Taubheitsgefühle, Koordinationsstörungen, Gedächtnisstörungen und Schmerzen hinzukommen. Langfristig kann MS zu schweren Behinderungen führen.

Meist beginnt Multiple Sklerose schubförmig. Während eines Schubs, der einige Tage bis mehrere Wochen anhalten kann, treten neue Symptome auf. Diese können sich – insbesondere im frühen Krankheitsstadium – danach auch wieder ganz zurückbilden. In diesem Fall spricht man von einem Schub mit kompletter Remission. Im späteren Stadium häufen sich Schübe mit inkompletter Remission, es verbleiben nach dem Schub Restsymptome mit dauerhaften Funktionsstörungen. Später kann es auch zu einem langsamen, kontinuierlichen Fortschreiten der MS ohne zusätzliche Schübe kommen.

Der richtige Versicherungsschutz

Da auch junge Menschen an Multipler Sklerose erkranken, ist eine frühzeitige Absicherung wichtig. Wurde die Krankheit schon diagnostiziert, ist es wegen der Vielzahl und Schwere der Symptome für den Abschluss einer geeigneten Versicherung zur Arbeitskraftabsicherung zu spät.

Grundsätzlich leisten Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsversicherungen im Versicherungsfall unabhängig davon, durch welche Krankheit die Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist. Aber bedingt durch den Verlauf der Krankheit, wird ein Betroffener mit großer Wahrscheinlichkeit zunächst berufs- und erst Jahre später erwerbsunfähig. Wer sich – vielleicht aus Kostengründen – für die preiswertere Erwerbsunfähigkeitsversicherung entschieden hat und zunächst „nur“ berufsunfähig wird, erhält in dieser Phase also noch keine Erwerbsunfähigkeitsrente. Und obwohl er Job und Einkommen verloren hat, muss er die Beiträge für seine Erwerbsunfähigkeitsversicherung weiterbezahlen, um auch bei einer späteren Erwerbsunfähigkeit noch versichert zu sein. Denn die meisten Erwerbsunfähigkeitsversicherungen sehen keine Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit vor.

Ähnliches gilt auch für Grundfähigkeitsversicherungen, die erst Leistungen erbringen, wenn versicherte Grundfähigkeiten (zum Beispiel Sehen, Gebrauch der Hände, Gebrauch der Arme, Gehen) in dem definierten Umfang verlorengegangen sind.

Tipp:

Den besten Schutz vor den finanziellen Folgen eines Arbeitskraftverlusts bietet eine Berufsunfähigkeitspolice. Im Falle des Eintritts einer Berufsunfähigkeit – egal infolge welcher Krankheit – wird die vereinbarte monatliche Rente gezahlt und die Versicherung beitragsfrei gestellt. Allerdings muss diese Versicherung rechtzeitig beantragt werden, also noch bevor Vorerkrankungen den Abschluss teuer oder gar unmöglich machen.

Ein Urteil, das für Aufsehen sorgte

Ein Orthopädietechniker war seit 2002 an Multipler Sklerose erkrankt und schloss 2010 einen Berufsunfähigkeitsvertrag mit vereinfachter Gesundheitsprüfung ab. Der Antrag enthielt keine Gesundheitsfragen. Er bestätigte nur die vorgedruckte Erklärung:

Ich erkläre, dass bei mir bis zum heutigen Tage weder ein Tumorleiden (Krebs), eine HIV-Infektion (positiver AIDS-Test), noch eine psychische Erkrankung oder ein Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) diagnostiziert oder behandelt wurden. Ich bin nicht pflegebedürftig. Ich bin fähig, in vollem Umfange meiner Berufstätigkeit nachzugehen.

Nachdem er 2012 einen Leistungsantrag wegen Berufsunfähigkeit stellte, focht die Versicherungsgesellschaft den Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung an. Sie begründete dies damit, dass der Versicherungsnehmer unzutreffende Gesundheitsangaben gemacht habe und gefahrerhebliche Umstände vorsätzlich verschwiegen hätte.

Dagegen klagte der Versicherungsnehmer und unterlag zunächst vor dem Landgericht Heidelberg. Das Gericht war der Meinung, der Versicherungsnehmer hätte im Rahmen eine sogenannten „spontanen Anzeigepflicht“ die MS-Erkrankung angeben müssen, auch wenn im Antrag nicht danach gefragt wurde.

Erst das Oberlandesgericht Karlsruhe verneinte eine arglistige Täuschung des Versicherungsnehmers bezüglich der Nichtangabe der Multiplen Sklerose. Recht bekam er trotzdem nicht. Denn die Richter sahen es als erwiesen an, dass der Orthopädietechniker seine Berufstätigkeit schon zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht mehr vollumfänglich ausüben konnte. Durch die Falschbeantwortung der entsprechenden Frage hat er seine vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt, so dass die Anfechtung des Vertrags durch die Versicherungsgesellschaft rechtens wäre.

Detailliertere Informationen hierzu finden Sie in diesem Beitrag der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Partnerschaft mbB.

Also auch wenn Ihnen eine Versicherung mit vereinfachter oder auch ohne Gesundheitsprüfung angeboten wird, sollten Sie folgende 2 Punkte prüfen:

  1. Können Sie wirklich alle Fragen ruhigen Gewissens mit „ja“ bzw. „nein“ beantworten?
  2. Ist die Erkrankung wirklich noch nicht so fortgeschritten, dass Sie jetzt schon (teilweise) berufsunfähig sind und der Versicherer eine sogenannte „eingebrachte Berufsunfähigkeit“ unterstellen könnte. Denn versichert ist immer nur eine Berufsunfähigkeit, die während der Versicherungsdauer eintritt.